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Edith Stein, die bessere Philosophin des 20. Jahrhunderts

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Hl. Teresia-Benedicta vom Kreuz, Edith Stein Hl. Teresia-Benedicta vom Kreuz, Edith Stein

„Sein zum Tode“ oder „Fülle des Lebens“

Edith Stein, die bessere Philosophin des 20. Jahrhunderts

 

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat Martin Heidegger „Sein und Zeit“ veröffentlicht, ein Werk, das die allgemeine philosophische Dogmatik über Jahrzehnte hinweg bestimmen sollte.

In einer neuen ansprechenden Sprache hat der Freiburger Philosoph die Sicht des Menschen, von der Welt und von Gott, so treffend zusammengefasst, dass erst das 21. Jahrhundert sich allmählich von dieser Sicht zu befreien und Anderes zu denken vermag.

Heidegger ging es darum, ein philosophisches Grunddogma, das schon im 19. Jahrhundert erstellt wurde, neu zu formulieren und zu belegen: Sein und Zeit sollten in einen so engen Zusammenhang gebracht werden, dass sich nur noch am zeitlichen Dasein der Sinn des Seins erhellen könnte.

Die Folge dieser Einschränkung war, dass der ewige Gott, das Leben in Fülle, aus dem Sein entlassen, in dieser neuen philosophischen Dogmatik keinen Platz mehr hatte. So wurde das 20. Jahrhundert grundlegend in seiner metaphysischen Gottlosigkeit bestätigt, die trotz zeitweiser Hinterfragung bis ins 21. Jahrhundert hinein Politik und Staat, Erziehung, Bildung und Wissenschaft bestimmen sollte.

Mit „Sein und Zeit“ hatte Heidegger einen neuen Zugang zum Sein ermöglicht, aber im Nachhinein bekommt doch Hedwig Conrad-Martius, die langjährige Freundin Edith Steins, recht, wenn sie feststellt, es sei bei Heidegger, „wie wenn mit ungeheurer Wucht weisheitsvoller Umsicht und nicht nachlassender Zähigkeit eine durch lange Zeiträume hindurch ungeöffnete und fast nicht mehr öffenbare Tür aufgesprengt und gleich darauf wieder zugeschlagen, verriegelt und so stark verbarrikadiert wird, dass ein Wiederöffnen unmöglich scheint“.

Und Edith Stein bestätigt: bei Heidegger „ist von vorne herein alles darauf angelegt, die Zeitlichkeit des Sein zu beweisen. Darum wird überall ein Riegel vorgeschoben, wo sich ein Blick zum Ewigen öffnet; darum darf es kein vom Dasein unterschiedenes Wesen geben, das sich im Dasein verwirklicht; darum keinen vom Verstehen unterschiedenen Sinn, der im Verstehen erfasst wird; darum keine vom menschlichen Erkennen unabhängigen „ewigen Wahrheiten“ – durch all das würde ja die Zeitlichkeit des Seins gesprengt, und das darf nicht sein, mögen auch Dasein, Verstehen und „Entdecken“ noch so sehr zu ihrer eigenen Klärung nach etwas von ihnen selbst Unabhängigem, Zeitlosem verlangen, was durch sie und in ihnen in die Zeitlichkeit eingeht.“

Dass dem aber so ist, das hat Edith Stein in ihrem Hauptwerk „Endliches und ewiges Sein“ aufweisen können, indem sie die von Heidegger geöffnete, aber schnell wieder fest verriegelte Tür erneut zu öffnen verstand.

Im Einklang mit ihrem katholischen Glauben, aber methodologisch unabhängig von ihm, hat sie einen tieferen Blick in die Philosophiegeschichte werfen können als dies Heidegger gewährt war. Sie hat das Seinsdenken von Thomas von Aquin genauer bedacht und festgestellt, wie die heideggersche Reduktion den Wahrheitsbegriff so an das menschliche Dasein kettete, dass die oben erwähnte Tür auf ewig verschlossen zu bleiben hätte.  Dass es sich bei Heidegger nicht so sehr um wissenschaftliches Arbeiten an den Quellen, als vielmehr um einen „antichristlichen Affekt“ handelt, das hat Edith Stein, die bessere Kennerin der mittelalterlichen Philosophie, aufgewiesen.

Anders als Heidegger andeutet, ist das Seinsdenken im Mittelalter nicht ein Irrweg, auf dem das rechte Fragen nach dem Sinn des Seins verloren gegangen wäre. Vielmehr hat Thomas von Aquin in seinen Bemühungen um die Analogie des Seins die Frage nach dem Sinn des Seins erst richtig gestellt. „Sein“ bedeutet keineswegs, wie Heidegger aus den Texten herauszulesen vorgibt, ausschließlich „Vorhandensein“, so als wäre es zeitweise in starre Eindeutigkeit eingemauert gewesen. Auch ist die katholische Tradition weit davon entfernt, Wahrheit nur als Urteilswahrheit zu verstehen, wie es Heidegger ihr vorhält, hat doch Thomas von Aquin in den von Edith Stein übersetzten Quaestiones disputatae de Veritate einen vierfachen Sinn von Wahrheit erörtert, wo das Wahre neben andern Bedeutungen als das „sich offenbarende und erklärende Sein“ bezeichnet wird, welches eindeutig an Heideggers „Wahrheit als Entdecktheit“ erinnert.

Tiefer und genauer als Heidegger hat sich die zum katholischen Glauben bekehrte Atheistin Edith Stein mit der philosophischen und der biblischen Tradition auseinandergesetzt. Durch ihre Begegnung mit Christus konnte sie auch die jüdische Tradition, die sie mit ihrem Philosophiestudium abgelehnt hatte, mit neuen Augen sehen.

Ihr katholischer Glaube half ihr, anderes zu denken. Denn wer glaubt, hört nicht auf zu denken, sondern denkt weiter und gründlicher. So sind für Edith Stein Sorge und Zeitlichkeit keineswegs der letzte und einzige Sinn des menschlichen Seins; sie sind im Menschen nur lediglich das, was so weit wie möglich zu überwinden ist, um zur Erfüllung des Seinssinns zu gelangen: „In dem Maß, in dem das menschliche Dasein von der verkrampften Gespanntheit der Sorge um die eigene Existenz übergeht in die Gelassenheit und Gelöstheit der selbstvergessenen Hingabe an das ewige Sein, in eben dem Maß wird schon zeitliches Sein vom ewigen erfüllt.“

Ist „Sein zum Tode“ der letzte Sinn des Daseins, „Tod“ das Ende des Daseins und „eigentliches Sein“ das Vorlaufen in den Tod, dann geht es dem menschlichen Sein in seinem Sein eigentlich nur um sein Sein, und Sorge und Zeitlichkeit sind ihm eigentümlich. Dabei ist aber alles, was dem menschlichen Sein Fülle geben könnte, wie Freude, Glück und Liebe, ausgeschlossen und findet in Heideggers Untersuchungen keinen Platz.

Folgerichtig nennt Edith Stein diese Seinsweise, die Heidegger schlechthin als menschliches Sein ausgibt „unerlöstes Sein“. Unerlöst ist sowohl das, was Heidegger als „alltägliches“ Sein bezeichnet, als auch sein sogenanntes „eigentliches Sein“:  ist das erste die Flucht vor der Frage: Sein oder Nicht-sein, so ist das zweite die Entscheidung für das Nichtsein und gegen das Sein, und somit Ablegung des wahren, eigentlichen Seins.

Diese Ablegung findet keine wahre Begründung. Heidegger hält lediglich an ihr nur fest: das Dasein ist als freies Seinkönnen unter das Seiende geworfen und steht nicht in der Macht dieser Freiheit selbst. Warum dieses Dogma nicht zum Ausgangspunkt wird, um zu einem nicht geworfenen Werfenden, zu einem unendlich Freien vorzudringen, bleibt geheimnisvoll und unverständlich.

Bei Edith Stein ist das anders. In ihrem philosophischen Hauptwerk hat sie die Aufgliederung des Seins in unendliches und begrenztes aufgezeigt und das Innerste der Seele als die Wohnung Gottes erkannt.

Gott ist die Fülle der Liebe und teilt sich in der Mannigfaltigkeit verschieden gearteter Seelen mit. Keine von ihnen kann für sich allein die ganze Fülle der göttlichen Liebe in sich aufnehmen und mit vollziehen, so dass nicht einsames, aus dem Zusammenhang gerissenes Sein, sondern Gemeinschaft  eigentliches Sein ist. Nicht Sein zum Tode, sondern Leben in Fülle ist das letzte Wort, ist erlöstes und wahres eigentliches Sein.

P. Jean-Jacques Flammang SCJ

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